Der deutsche Immobilienmarkt erlebt 2023 einen bedeutenden Wandel nach Jahren kontinuierlichen Wachstums. Die Kombination aus gestiegenen Zinsen, hoher Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheit hat die Dynamik des Marktes grundlegend verändert. In diesem Artikel analysieren wir die aktuellen Entwicklungen und wagen einen Ausblick auf die kommenden Monate.
Aktuelle Marktlage: Eine Korrektur nach langer Überhitzung
Nach mehr als einem Jahrzehnt stetig steigender Preise erleben wir nun eine Phase der Konsolidierung. Die Immobilienpreise in den deutschen Großstädten sind im ersten Halbjahr 2023 im Durchschnitt um 3 bis 8 Prozent gesunken. Diese Korrektur ist eine direkte Folge der veränderten Zinssituation: Mit dem Ende der Niedrigzinsphase haben sich die Finanzierungskosten für Immobilienkäufer mehr als verdreifacht.
In Berlin beispielsweise sind die Kaufpreise für Eigentumswohnungen im Vergleich zum Höchststand um durchschnittlich 5,7 Prozent zurückgegangen, während München mit 7,2 Prozent den stärksten Rückgang unter den Top-7-Städten verzeichnet. Hamburg und Köln zeigen mit -4,3 bzw. -3,8 Prozent eine etwas moderatere Entwicklung.
Bemerkenswert ist jedoch, dass diese Preiskorrekturen sehr selektiv ausfallen. Während ältere Bestandsimmobilien mit schlechter Energiebilanz teils deutliche Abschläge hinnehmen müssen, halten sich die Preise für moderne, energieeffiziente Neubauten vergleichsweise stabil.
"Der Markt differenziert jetzt viel stärker nach Qualität, Lage und Energieeffizienz. Die Zeiten, in denen jede Immobilie quasi automatisch im Wert stieg, sind definitiv vorbei." - Prof. Dr. Steffen Wagner, Immobilienökonom
Mietmarkt unter Druck: Angebotsmieten steigen weiter
Im Gegensatz zum Kaufmarkt zeigt der Mietmarkt weiterhin eine deutliche Aufwärtsdynamik. In allen deutschen Großstädten sind die Angebotsmieten im letzten Jahr zwischen 5 und 9 Prozent gestiegen. Besonders betroffen sind Berlin (+8,8%), München (+6,9%) und Hamburg (+7,1%), wo der Nachfrageüberhang weiterhin enorm ist.
Diese Entwicklung hat multiple Ursachen:
- Potenzielle Käufer bleiben aufgrund der höheren Finanzierungskosten im Mietmarkt und erhöhen dort die Nachfrage
- Die Neubautätigkeit ist durch gestiegene Baukosten und Finanzierungsprobleme deutlich zurückgegangen
- Die Nettozuwanderung nach Deutschland hat sich seit 2022 erheblich verstärkt
- Energetische Sanierungen werden teilweise über Mieterhöhungen refinanziert
Gerade in den beliebten Innenstadtlagen der Metropolen bleibt die Situation angespannt, mit oft über 30 Bewerbern pro Wohnung und Besichtigungsterminen, die binnen Minuten ausgebucht sind.
Regionale Unterschiede werden ausgeprägter
Eine zentrale Erkenntnis unserer Marktanalyse ist die zunehmende Diversifizierung der regionalen Immobilienmärkte. Während die großen Metropolen trotz leichter Preiskorrekturen grundsätzlich stabil bleiben, zeigen sich in B- und C-Lagen sowie im ländlichen Raum teilweise deutlich stärkere Preisrückgänge.
Andererseits profitieren attraktive Mittelstädte im Umland der Metropolregionen von der zunehmenden Nachfrage nach erschwinglichem Wohnraum bei gleichzeitig guter Verkehrsanbindung. Städte wie Potsdam bei Berlin, Augsburg bei München oder Lüneburg bei Hamburg verzeichnen weiterhin stabile bis leicht steigende Preise.
Prognose für die kommenden Monate
Für den Rest des Jahres 2023 und die erste Hälfte 2024 rechnen wir mit folgenden Entwicklungen:
- Kaufmarkt: Die Preiskorrektur wird sich mit regional unterschiedlicher Intensität fortsetzen, aber abflachen. In Top-Lagen beliebter Großstädte erwarten wir eine Stabilisierung bis Ende des Jahres.
- Mietmarkt: Die Mieten werden weiter steigen, allerdings mit nachlassender Dynamik. Die staatlichen Eingriffe zur Mietpreisbremse dürften dabei nur begrenzt wirksam sein.
- Transaktionsvolumen: Nach dem dramatischen Einbruch 2022/23 rechnen wir mit einer leichten Erholung der Transaktionen, da sich Käufer und Verkäufer allmählich an das neue Zinsniveau anpassen.
- Neubauentwicklung: Die Bautätigkeit wird auf niedrigem Niveau verharren, was die strukturelle Wohnungsknappheit in den Wachstumsregionen weiter verschärft.
Ein entscheidender Faktor wird die weitere Zinsentwicklung sein. Während eine Zinswende nach unten in den kommenden 12 Monaten unwahrscheinlich erscheint, dürfte zumindest eine Stabilisierung auf dem aktuellen Niveau den Markt unterstützen.
Fazit: Zeit der Chancen für strategische Investoren
Die aktuelle Marktphase bietet trotz aller Herausforderungen auch Chancen. Für kapitalstarke, langfristig orientierte Käufer eröffnen sich Einstiegsmöglichkeiten, die es in den vergangenen Jahren nicht gab. Besonders interessant sind dabei:
- Hochwertige Bestandsimmobilien in guten Lagen, die aufgrund der allgemeinen Marktschwäche mit Abschlägen angeboten werden
- Objekte mit energetischem Sanierungspotenzial, die nach entsprechenden Investitionen deutlich an Wert gewinnen können
- Grundstücke in entwicklungsfähigen Lagen, die mittel- bis langfristig von der anhaltenden Wohnungsknappheit profitieren werden
Für Käufer, die primär ihren eigenen Wohnbedarf decken möchten, raten wir zu einer sorgfältigen Prüfung der persönlichen finanziellen Situation und einer realistischen Einschätzung der langfristigen Haltbarkeit. Die Zeit der schnellen Wertsteigerungen ist vorerst vorbei – umso wichtiger werden klassische Faktoren wie Lage, Substanz und Energieeffizienz.
Unterm Strich erleben wir eine gesunde Normalisierung nach Jahren der Überhitzung. Der deutsche Immobilienmarkt bleibt fundamentalstark und wird mittelfristig wieder auf einen moderaten Wachstumspfad zurückkehren.