Die Frage „Kaufen oder Mieten?" beschäftigt Wohnungssuchende in Deutschland mehr denn je. Nach Jahren, in denen der Immobilienkauf aufgrund niedriger Zinsen und steigender Preise fast immer die wirtschaftlichere Option war, hat sich die Situation grundlegend verändert. In diesem Artikel analysieren wir die aktuelle Situation und geben konkrete Entscheidungshilfen.
Die veränderte Ausgangslage
Der deutsche Immobilienmarkt befindet sich in einer Umbruchphase. Nach über einem Jahrzehnt stetig steigender Preise und historisch niedriger Zinsen haben sich die Rahmenbedingungen seit 2022 erheblich verändert:
- Die Bauzinsen sind von unter 1% auf über 3,5% gestiegen
- Die Immobilienpreise sind in vielen Regionen leicht rückläufig
- Die Mieten steigen weiterhin, besonders in den Großstädten
- Die Inflation hat die Baukosten und die Kosten für Instandhaltung deutlich erhöht
Diese Faktoren haben das Verhältnis von Kaufen und Mieten neu justiert. Während 2020 der Kauf in fast allen Regionen Deutschlands langfristig günstiger war als die Miete, muss dies heute differenzierter betrachtet werden.
Die finanziellen Aspekte im Vergleich
Um die wirtschaftlichen Aspekte von Kaufen und Mieten zu vergleichen, berücksichtigen wir folgende Faktoren:
Beim Kauf einer Immobilie:
- Anschaffungskosten: Kaufpreis plus Nebenkosten (Grunderwerbsteuer, Notar, Makler, etc.)
- Finanzierungskosten: Zins- und Tilgungsrate bei Kreditaufnahme
- Laufende Kosten: Grundsteuer, Instandhaltungsrücklage, Versicherungen
- Wertsteigerung/Wertminderung: Mögliche Veränderung des Immobilienwerts
- Opportunitätskosten: Entgangene Erträge, die mit dem Eigenkapital alternativ hätten erzielt werden können
Bei der Miete einer Wohnung:
- Monatliche Mietzahlungen: Kaltmiete plus Betriebskosten
- Mietsteigerungen: Zu erwartende Erhöhungen über die Zeit
- Anlagemöglichkeiten: Potenzielle Rendite des nicht für den Kauf verwendeten Kapitals
Auf Basis dieser Faktoren haben wir verschiedene Szenarien für typische Wohnungen in deutschen Großstädten durchgerechnet:
Beispielrechnung Berlin (Mittelklasse-Wohnung, 80m²)
Kaufoption:
- Kaufpreis: 430.000 €
- Nebenkosten: ca. 47.000 € (Grunderwerbsteuer 6%, Notar/Grundbuch 2%, Makler 3%)
- Eigenkapital: 120.000 €
- Finanzierungskosten: ca. 1.250 € monatlich (3,5% Zins, 2% Tilgung, 357.000 € Kreditsumme)
- Instandhaltung und Rücklage: ca. 200 € monatlich
- Grundsteuer und Versicherungen: ca. 80 € monatlich
- Gesamtkosten monatlich: ca. 1.530 €
Mietoption:
- Kaltmiete: ca. 1.100 € monatlich (13,75 €/m²)
- Betriebskosten: ca. 250 € monatlich
- Annahme Mietsteigerung: 3% jährlich
- Kapitalanlage: 120.000 € bei 5% Rendite bringen ca. 500 € monatlich
- Effektive monatliche Belastung: ca. 850 € (Miete + Betriebskosten - Kapitalerträge)
In diesem Beispiel wäre Mieten zunächst deutlich günstiger. Erst nach etwa 15-20 Jahren würde sich das Blatt aufgrund der Mietsteigerungen und der fortschreitenden Tilgung des Kredits wenden.
"Die Entscheidung zwischen Kaufen und Mieten ist keine reine Rechenaufgabe, sondern immer auch eine Lebensentscheidung. Die wirtschaftlichen Aspekte sind wichtig, aber persönliche Präferenzen und Lebensumstände sollten nicht unterschätzt werden." - Prof. Dr. Michael Voigtländer, Immobilienökonom
Nicht-finanzielle Aspekte der Entscheidung
Neben den rein finanziellen Überlegungen spielen weitere Faktoren eine wichtige Rolle:
Vorteile des Kaufens:
- Gestaltungsfreiheit: Als Eigentümer können Sie Ihre Immobilie nach eigenen Vorstellungen gestalten
- Sicherheit: Keine Kündigung durch den Vermieter möglich
- Altersvorsorge: Im Alter mietfrei wohnen
- Vermögensaufbau: Eigenheim als Vermögenswert aufbauen
Vorteile des Mietens:
- Flexibilität: Leichterer Wohnortwechsel bei beruflichen oder privaten Veränderungen
- Keine Instandhaltungsrisiken: Reparaturen sind Sache des Vermieters
- Liquidität: Kapital bleibt für andere Investitionen verfügbar
- Weniger Verwaltungsaufwand: Keine Eigentümerversammlungen, Grundsteuer, etc.
Für wen lohnt sich aktuell der Kauf?
Trotz der veränderten Rahmenbedingungen kann ein Immobilienkauf weiterhin sinnvoll sein, besonders für:
- Langfristig orientierte Käufer: Wer mindestens 10-15 Jahre in der Immobilie wohnen möchte
- Käufer mit hohem Eigenkapital: Je mehr Eigenkapital, desto günstiger die Finanzierung
- Käufer in boomenden Regionen: Wo Mieten stark steigen und weiteres Potenzial besteht
- Käufer, die besondere Objekte suchen: Spezielle Wohnformen wie Lofts, Häuser mit Gärten, etc.
- Käufer mit Fokus auf Altersvorsorge: Wer im Alter mietfrei wohnen möchte
Für wen ist Mieten aktuell attraktiver?
Das Mieten bietet derzeit besondere Vorteile für:
- Beruflich mobile Menschen: Wer häufig den Wohnort wechseln muss
- Personen in Übergangsphasen: Wer noch nicht genau weiß, wo und wie er langfristig leben möchte
- Bewohner von Hochpreisregionen: Wo das Verhältnis von Kaufpreis zu Miete besonders ungünstig ist
- Menschen mit alternativen Anlagemöglichkeiten: Wer sein Kapital gewinnbringender investieren kann
- Personen mit geringem Eigenkapital: Wer für den Kauf einen hohen Kredit aufnehmen müsste
Fazit: Individuelle Abwägung wichtiger denn je
Die alte Faustregel "Kaufen ist immer besser als Mieten" gilt nicht mehr pauschal. Die aktuellen Marktverhältnisse erfordern eine differenzierte Betrachtung und individuelle Analyse der persönlichen Situation.
Wir empfehlen, folgende Schritte zu gehen:
- Erstellen Sie eine realistische Gegenüberstellung aller Kosten für beide Optionen
- Berücksichtigen Sie Ihre persönliche Lebensplanung für die nächsten 10-15 Jahre
- Prüfen Sie Ihre Risikotragfähigkeit (z.B. bei steigenden Zinsen nach Zinsbindungsende)
- Lassen Sie sich von einem unabhängigen Finanzberater unterstützen
Mit dieser sorgfältigen Analyse werden Sie die für Ihre individuelle Situation optimale Entscheidung treffen können.